Wie ich zu Angelika Harten kam


Wie ich zu Angelika Harten kam

von Sophie Lange

Ich stieß durch einen „Zufall“ und über einen Umweg auf Angelika Harten. Anfang der 1990er Jahre beschäftigte ich mich mit einer ersten Mädchenschule in Münstereifel (siehe Margaretha Linnerij) Bei meiner Recherche wurde ich auf das Buch „Die Ursulinen von St. Salvator“ von 1913 aufmerksam, geschrieben von P. Salesius Elsner, Rektor und Religionslehrer an St. Salvator in Roermond. Doch wie kam ich an dieses Buch? (Das Internet gab es in der heutigen Vielfalt noch nicht.) Nach vergeblichem Suchen in Archiven, Bibliotheken und Museen wandte ich mich schließlich an die Sankt Angela Schule in Münstereifel, die mich zum damaligen Ursulinen - Internat von St. Angela weiterleitete (Schließung 1997). Dort kannte man das Buch und hatte es auch vorliegen. Ausleihen, um es zu lesen und evt. zu kopieren, wollte man es mir allerdings nicht. Man hätte nur dieses einzige Exemplar und das gäbe man nicht aus dem Haus. Da half auch mein Hinweis nicht, dass ich einige Zeit im Pensionat einer Ursulinenschule verbracht hatte. Schließlich kamen wir überein, dass ich mir das Buch im Haus der Ursulinen kopieren durfte. So kam ich mit meinem kleinen Tischkopierer ins Pensionat, bekam einen kleinen Raum zugewiesen und konnte nun das Buch in aller Ruhe kopieren.
In diesem Buch stieß ich auf Angelika Harten. Dort heißt es nämlich auf Seite 77: „Am Schlusse dieses Kapitels sei noch erwähnt, dass unter den zahlreichen Pensionärinnen des Salvatorklosters in Münstereifel von 1872 -76 sich auch die später als Jugendschriftstellerin so bekannt gewordene Dichterin Angelika Harten befand, die ihren Aufenthalt im Salvatorkloster in dem spannend geschriebenen Werkchen „Wildfang im Pensionat“ poetisch ausgeschmückt erzählt hat. Die Dichterin ist auch bekannt unter dem Namen R. Fabri de Fabris.“

In einer Fußnote ist ergänzt: „Bachems illustrierte Erzählungen für junge Mädchen. Band 1 Wildfang im Pensionat [richtig: Band 2]. Erzählung für junge Mädchen von Angelika Harten. 10. Auflage, Köln am Rhein. Die erste Auflage trägt folgende Widmung: Der Ehrwürdigen Mutter Ursula Scheeben, Generaloberin der Ursulinen von St. Salvator in Roermond und ihren Mitschwestern in Düsseldorf und Brühl, ihren lieben Lehrerinnen aus dem Kloster zu M. [Münstereifel] in dankbarer Verehrung gewidmet von der Verfasserin.“
Wildfang im Pensionat? Das kam mir bekannt vor. Und dann fiel es mir ein: Borromäusverein. Eine Borromäus - Leihbücherei in dem Pfarrhaus meines Heimatortes hatte ich in Kinder- und Jugendjahren von hinten nach vorne und von vorne nach hinten durchgelesen. Und dort hatte es auch die Wildfangbände gegeben. (Aus Wildfangs Kinderjahren, Wildfang im Pensionat, Aus Wildfangs Brautzeit) und sicher noch andere Jugendschriften der katholischen Dichterin. Nun waren mein Interesse und meine Jagdleidenschaft geweckt. Ich wollte mehr über diese Schriftstellerin wissen, schließlich gehörte sie ja zu den „Eifeldichterinnen“. Auch wollte ich versuchen, Bücher von ihr zu bekommen.
Doch vor dem Sammeln gab es noch eine Überraschung: Das erste Buch von Angelika Harten fand ich in meinem eigenen Buchbestand: Aus Wildfangs Kinderjahren. Wie ein in säuberlicher Kinderschrift geschriebener Eintrag zeigte, gehörte es meiner Schwester. Angelika Harten war nicht nur von der Öffentlichkeit vergessen worden, auch ich persönlich hatte sie vergessen.
Doch es war gar nicht so einfach, weitere Bücher der Jungmädchenschriftstellerin zu finden. Nur mit Hilfe von zwei befreundeten Sammlern (Dieter Heimer und Dieter Polte), die regelmäßig Antiquariate aufsuchen, erhielt ich im Laufe der Jahre Bücher und auch Informationen. Auch schrieb ich ein Zeitungsarchiv an und bekam von dort einige Unterlagen.

Meine Sammlung

Meine Sammlung wuchs und ich war immer mehr von der vergessenen Dichterin angetan. Besonders ihre poetischen Naturbeschreibungen und ihre versponnenen Märchen gefielen mir. Da Angelika Harten sich besonders in der Keltenzeit zu Hause fühlte, in der auch ich mich verwurzelt sehe, erkannte ich in ihr so etwas wie eine Seelenverwandte. Seltsam berührte es mich, dass sie immer wieder die Sommersonnwende in ihren Geschichten nennt, auch für mich ein bedeutungsvoller Tag im Jahreslauf. Außerdem bewunderte ich ihre Kenntnis über Blumen, Pflanzen und Kräuter.

Natürlich kann man den antiquierten Schreibstil von Angelika Harten nicht mit heutigen Kriterien bewerten. Die Inhalte ihrer Jungemädchenbücher entsprechen auch nicht dem jetzigen Zeitgeist, zeigen aber sehr deutlich, wie Mädchen in der sogenannten „guten alten Zeit“ sein sollten: brav, bescheiden, wohlerzogen, fleißig, gehorsam, sittsam und unter dauernder Kontrolle der Erwachsenen, wie ein Bild in „Die Goldmaria“ zeigt.

Das Geburtsdatum der Schriftstellerin ist der 26. 02. 1858 - so steht es zumindest in alten Literaturlexika. Doch als ich mir bei der Stadt Neuss eine Abschrift der Geburtsurkunde besorgte, musste ich feststellen, dass der 26.02. der Anmeldetag war, der Geburtstag lag einen Tag früher, also der 25- Februar. Schade, denn es hatte mir gefallen, dass das Geburtsdatum 26. Februar mit meinem Geburtsdatum identisch war – nur mit einigen Jahrzehnten Unterschied. (So zerstört man sich Träume, wenn man zu gründlich recherchiert.)

Die Sterbeurkunde

Das Sterbedatum der Jugendschriftstellerin ist nicht bekannt. Es wird „nach 1935“ oder auch 1936 vermutet. (Nur ganz nebenbei: ich bin 1936 geboren, und zwar in Aachen.) Da die Dichterin in Aachen gewohnt hat, zog ich dort Erkundigungen ein – versuchte es zumindest. Doch nachdem man dort lange mit „Datenschutz“ alle Anfragen blockiert hatte, wurde mir schließlich mitgeteilt, dass alle Personenunterlagen im Zweiten Weltkrieg verbrannt seien. So konnte auch nicht festgestellt werden, ob sie bis zum Lebensende in Aachen gelebt hat. Beschwerend kam noch hinzu, dass Angelika Harten ja nur ein Pseudonym ist, mit bürgerlichem Namen hieß die Dichterin Maria Schmitz (geb. Köhler). Und eine Maria Schmitz in der Ahnengeschichte zu finden, gleicht der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Inzwischen (2014) teilten mir Nachkommen der Dichterin das genaue Sterbedatum von Angelika Harten mit. Sie starb am 8. Januar 1945 im Samariterheim Kraschnitz bei Warmbrunn in Schlesien, wohin sie von Aachen aus evakuiert worden war.
In einer autobiographischen Erzählung (siehe: Im Frührot) schreibt Angelika Harten über die Eifel. Hier ergänzt sie: „Wenn mir damals (1918) einer hätte verraten können, dass einst meine Enkelkinder in jener Berg-, Wald- und Märcheneinsamkeit ihre beneidenswert glückliche Jugendzeit verleben durften! Und dass mir selbst manches Märchen dort einmal einfallen würde!“ Diesen Eifelort hat sie nicht genannt.
Inzwischen gibt das Internet die Möglichkeit, weltweit nach Informationen zu suchen. Über Angelika Harten fand ich aber nichts, außer eine falsche Angabe bei Wikipedia, denn das Pseudonym „Angelika Harten“ wird dort Hedwig Dransfeld angedichtet. Einige antiquarische Bücher wurden zwar angeboten, aber ansonsten war Angelika Harten = R. Fabri de Fabris auch im Internet vergessen, das heißt, sie hatte nie den Weg ins World Wide Web gefunden. So entschloss ich mich, neben einer kurzen Biographie Märchen und Buchausschnitte auf meine Homepage einzubinden, damit die vergessene Dichterin doch nicht so ganz vergessen ist.

Aphorismen, 1902
von R. Fabri de Fabris = Angelika Harten

Gönnerhafte Freundlichkeit berührt den Feinfühligen wie ein Fußtritt in Filzschuhen.
Es ist schwer, seiner Eigenliebe den Prozess zu machen, da der Angeklagte zugleich der Verteidiger und der Richter ist.
Der Eigendünkel verleitet manchen Ungläubigen zum größten Wunderglauben an sich selbst.
Der Gedanke an Gottes Allwissenheit ist die beste Schule zur Demut.
Das Leid ist die Hochschule der Liebe. Alle Menschenkinder werden bei ihr immatrikuliert; aber nur wenige Auserwählte scheiden mit Zeugnis „summa cum laude“ von ihr.
Das Lesen seichter Romane ist der Opiumgenuss der europäischen Nichtstuer.
In: Dichterstimmen der Gegenwart, 1902

Quellenangaben:
P. Salesius Elsner O.F.M.: Die Ursulinen von St. Salvator, Trier 1913
Sophie Lange: Jungfrauen sollten unbehelligt „die Meydlein underweisen“. In: Kreis Euskirchen Jahrbuch 1993
Sophie Lange: Die Eifel als literarische Wahlheimat von drei Dichterinnen. In: Eifel Jahrbuch 1994