Schlaflos in Nettersheim

Es ist schon weit über 40 Jahre her, als ich erstmals nach Nettersheim kam. Bei uns im Flachland spukte noch immer in einigen Köpfen die preußische Ansicht von der Eifel als Sibirien Deutschlands. Arm war die Eifel zwar nicht mehr, aber kalt war es dort immer noch. Trotzdem beschlossen mein Bruder und ich, für ein paar Tage in die Eifel zu fahren. Leider fanden wir erst im November Zeit dazu.

Foto: F.-J. Kochs

Es war bitter kalt, als wir in unserem klapprigen Käfer losfuhren. Aber in der Eifel war es noch viel kälter. Bei Nacht und Nebel, bei Eis und Schnee kamen wir in Nettersheim an und stiegen in das beste, einzige Hotel (Nettersheimer Hof) des Ortes ab. Als ich mein Zimmer bezog, schmückten Eisblumen mit winzigen Kristallsternen das Schlafzimmerfenster. Soviel „Sterne“ hat kaum ein anderes Gasthaus. Mit zwei Fingern wusch ich mich, denn das Wasser in der Porzellan - Waschschüssel war eiskalt.
Als ich ins Bett kroch, erlebte ich die Spezialität des Zig-Sterne-Hotels als wohltuende Überraschung: Zwei heiße braune Tonkrüge, in denen einstens ein klarer Steinhäger kühl gehalten worden war, hatten die Schlafstätte vorgewärmt. Ich fror trotzdem. So zog ich mir alles an, was man im Bett anziehen kann, holte mir alle Decken vom zweiten Bett und fror weiter.

Die Schlafräume lagen direkt über der Gaststätte. Das Gemurmel von unten war zunächst nur leise zu hören, wurde aber im Laufe des Abends - anscheinend durch steigenden Alkoholkonsum - immer lauter. An Schlaf war nicht zu denken.
Zur späten Stunde begannen die Zecher zu singen, schöne alte Volkslieder. Mir wurde richtig warm ums Herz. Doch auch der Gesang wurde zunehmend lauter und grölender. Ich begann wieder zu frieren. Da – plötzlich - hörte ich noch einen anderen Gesang. Ich schlug mir das dicke schwere Plumeau um die Schultern und trat ans Fenster. Gegenüber war noch ein Gasthof und von dort klang nun zusätzlich Gesang, auch nicht schön, aber laut. Jetzt konnte ich „die Sänger vom finsteren Walde“ in Stereo hören. Wir waren anscheinend mitten in St. Pauli von Nettersheim gelandet.
„Das war meine erste und meine letzte Nacht in Nettersheim“, dachte ich am Morgen, als ich grimmig das Eis in der Waschschüssel mit den längst erkalteten steinernen Flaschen aufschlug. Doch der Mensch denkt und Gott lenkt. Für mich galt wohl eher: Ich dachte und Gott lachte. Denn wir bauten in Nettersheim ein Haus und wurden einheimische Zugezogene.