Der Eifeler Dorfladen gleich um die Ecke


Auszug aus dem Buch "Alt-Eifeler Küche. Band 1 Kochen"

von Sophie Lange

Wenn wir uns heute mit überquellendem Einkaufswagen selbstbedienend durch den Supermarkt quälen, kommt uns der kleine Dorfladen der Vergangenheit wie eine liebliche Idylle vor. Dort waren zwar längst nicht alle Lebensmittel, die wir heute für lebensnotwendig halten, vorrätig, doch es gab etwas, was man nicht kaufen kann: Geruhsamkeit, Überschaubarkeit, Anteilnahme, individuelle Beratung und Gespräche, die sich nicht nur auf Geschäftliches beschränkten.

Wie sahen vor dem Zweiten Weltkrieg in den Eifeldörfern die Geschäfte aus, die sich Kolonialwaren-, Lebensmittel-, Kram- oder Gemischtwarenladen nannten? Nur noch die ältere Generation erinnert sich an die scheppernde Türglocke, die ertönte, wenn man den kleinen Verkaufsraum betrat. Eine buntgemischte Duftpalette von Petroleum, Kandiszucker; Pfefferminz und vieles mehr schlug einem entgegen. In zahleichen Schubladen und Fächern, Gläsern und Dosen waren die Waren meist lose verstaut. Auch wenn man das Gefühl hatte, dass die Ladenbesitzerin unmöglich in dem Tohuwabohu etwas finden konnte, so brachte diese doch stets blitzschnell das Gewünschte mit einem zielsicheren Griff zum Vorschein. In spitz auslaufenden Papiertüten wurde die gewünschte Menge abgewogen. In mitgebrachten Flaschen wurde Flüssiges abgefüllt. Verpackungsmaterial war weitgehend unbekannt.

Selbstversorger

Gekauft wurde im Vergleich zu heute nur äußerst wenig, denn das meiste hatte man ja als Selbstversorger zu Hause: Gemüse und Kartoffeln, Milch und Butter, Fleisch und Eier. Zu dem Angebot im Dorfladen gehörten Salz und Zucker, Mehl und Haferflocken, Grieß und Graupen, Kaffee und Kakao, Essig und Öl, Käse und Heringe, Garn und Sicherheitsnadeln, Kernseife und Schuhcreme und nicht zu vergessen die Kamellchen in den großen Gläsern. Auch manch anderer Kram für Haus und Hof war im Kramladen erhältlich. In einer kleinen Einkaufstasche oder in der hochgebundenen Schürze wurde das Eingekaufte verstaut.

Ein Sonderangebot von Tante Emma war es, dass man auch schon mal nach Ladenschluss hintenrum etwas bekommen konnte. Abends kamen auch die verschämten Armen des Dorfes heimlich in den Laden. In der Schürze trugen sie ein Ei oder etwas Gemüse, um diese eigenen Erzeugnisse gegen ein dringend benötigtes Lebensmittel einzutauschen.

Ein internes Angebot der kleinen Lebensmittelgeschäfte war die Möglichkeit auf Pump zu kaufen. Das Anschreibebuch lag immer bereit. Bis zur nächsten Lohnzahlung oder bis zur Ernte wurde gestundet. Wurden die Schulden bezahlt, wurde ein Strich durch die Zahlenreihe gemacht und die Angelegenheit war erledigt. Schwer fiel es in der Dorfgemeinschaft, einem Kunden sagen zu müssen, dass die Kreditgrenze erreicht sei. Aber auch den einkaufenden Frauen war es peinlich, wenn sie um Stundung ihrer Schulden bitten mussten. Um Mahnungen aus dem Wege zu gehen, wurden die Kinder zum Einkaufen geschickt. "Mama kommt morgen bezahlen", hieß es dann.

Überhaupt war es in der Regel Sache der Kinder, zum Dorfladen zu laufen. Waren die Hausfrauen mitten in einer Haus-, Garten- oder Feldarbeit (und das waren sie praktisch immer), so fanden sie kaum Zeit zum Einkaufen, obwohl sie durchaus in der Arbeitsschürze mal eben zum Lädchen um die Ecke rüberlaufen konnten und nicht erst groß Toilette machen mussten. Die Kinder bekamen einen Zettel in die Hand gedrückt und wurden losgeschickt. Da im Laden meist ein Bonbon als Kundendienst überreicht wurde, erfüllten die Kinder gerne die kleine Pflicht des Einkaufens. Die Männer verliefen sich nur in den Dorfladen, um ihre Rauchutensilien zu erstehen.

Frauentreff

Brauchte man indes nicht nur etwas für den Haushalt, sondern auch einen guten Rat, dann gingen die Frauen selbst zum Laden. Eine gute Tante Emma hatte für alle Nöte und Kümmernisse ihrer Kunden ein offenes Ohr, hielt manchen Rat parat und leistete Hilfe, wenn Not am Mann war. Sie musste warmherzig und doch geschäftstüchtig sein, gesprächsbereit und doch verschwiegen. Es lag an der Autorität der Ladenbesitzerin, ob ihr Geschäft ein wohltuender Frauentreff war oder eine brodelnde Gerüchteküche. Vorsorglich wurden Kinder von ihren Müttern ermahnt, beim Einkaufen sich nicht ausfragen zu lassen und nichts Familieninternes zu erzählen.

Wenn man alte Aufstellungen der Gewerbetreibenden betrachtet, so fällt auf, dass viele Kolonialwarenhandlungen unter dem Namen der Männer eingetragen sind. Geführt wurden die Läden jedoch meist von den Frauen, die hier eine der wenigen Möglichkeiten hatten, eigenes Geld zu verdienen. Jedes kleinstes Dorf hatte mindestens einen Laden. Schon Eifelorte mit knapp 300 Einwohnern besaßen um 1950 zwei Kolonialwarenläden. Das stete Ansteigen der Konsumgüterzahl und die preisgünstigen Billigwaren von Riesenmärkten lösten dann in unserer Zeit das Ladensterben auf dem Lande aus. In den meisten Eifeldörfern fehlen heute Einkaufsmöglichkeiten. Nur in Industriezentren größerer Orte oder irgendwo auf der grünen Wiese, losgelöst vom Dorf, existieren Einkaufszentren, die nur mit dem Auto zu erreichen sind. Kein Wunder, dass kleine Eifeldörfer wie ausgestorben wirken.