Die Opfergaben

Bruchstück aus Bonn
Bruchstück aus Bonn

Wenn Kinder vor den Drei-Göttinnen-Steinen stehen, verspüren sie intuitiv das Bedürfnis, den Matronen etwas in den Schoß zu legen. So kramen sie in ihren Taschen, finden ein Bonbon, einen Kaugummi oder eine kleine Münze, die sie freudestrahlend hinlegen. Erwachsene reagieren oftmals genauso, rechtfertigen sich jedoch, dass diese impulsive Handlung nur ein Spaß sei. Andere legen ganz bewusst etwas vor den Matronenaltären. Gründe können sein: Freude über den schönen Platz, Achtung vor der Geschichte und Ehrung der alten Göttinnen. Sicher steckt auch manchmal eine Bitte dahinter. So ist es nicht verwunderlich, dass Blumen, Körner, Früchte oder ähnliches häufig in den alten Kultstätten wie Nettersheim, Zingsheim und Pesch vor den Weihesteinen zu entdecken sind.
Die alten Gottheiten nahmen und gaben, empfingen und spendeten. Das Wort Do dhe (ich gebe, damit mir gegeben wird) galt gleichzeitig für die Menschen, die den Göttern Gaben brachten, um deren Wohlwollen für Heim und Heimat zu erbitten. Es ist wohl ein Ur-Instinkt des Menschen, dass er seinen Göttinnen und Göttern etwas Persönliches, etwas von seinem Haus, seinem Wohnort oder aber aus der Natur mitbringt. Manchmal gingen die Menschen lange Strecken, um ihre Opfer zu einem bestimmten heiligen Ort zu „bringen“. Hatte man die Götter gekränkt, so wollte man sie mit einer Gabe wieder versöhnen. Auch opferte der Mensch diejenigen Gaben, die er von den Gottheiten erflehte. Natürlich konnte eine Gabe auch ein Geschenk sein, ohne ein Gegengeschenk zu erwarten.
Ob die Stifter der Matronensteine um 200 n. Chr. noch die Gesetzmäßigkeit von geben und empfangen praktizierten? Oder forderten sie zunächst die Erfüllung einer Bitte, bevor sie den Göttinnen eine Gabe darbrachten? Auf den Matronensteinen ist meist die „sakralrechtliche Vertragsformel“ VSLM zu entziffern: Votum Solvit Libens Merito = das Gelübde eingelöst gerne und nach ihrem Verdienst. Der Stifter hat also etwas erfleht und einen Weihestein versprochen, wenn die Göttinnen ihm helfen. Auf einem winzigen, vollständig erhaltenen Altärchen aus Pesch stand nichts anderes als die Buchstaben LM, wohl ähnlich den kleinen Votivtäfelchen in christlichen Wallfahrtskapellen die das Wort „Danke!“ tragen. Auf anderen Weihesteinen steht „Ex imperio ipsarum oder ex iussu ipsarium (auf Befehl oder Geheiß der Gottheit). Die Stifter oder Stifterinnen haben wohl innerhalb einer Trance, eines Traumbilds oder eines Initiationsrituals die Anweisung erhalten, den Matronen einen Altarstein zu errichten. Diese „Offenbarungsinschrift“ ist im Ubiergebiet von 116 Matroneninschriften bekannt. Man überlegte. „ob hier nicht eine kultische Eigenheit der Matronen, eine spezifische Form ihres göttlichen Eingreifens angesprochen wird, die sie von anderen Gottheiten unterscheidet. Jedenfalls muss es ein Charakteristikum fast aller Matronenkulte sein, da die Formel fast flächendeckend verwendet wird.“11
Manchmal ist die Offenbarungsinschrift mit einem eingelösten Gelübde gekoppelt. So heißt es auf dem im Matronentempel Nöthen-Pesch gefundenen und in Kopie aufgestellten kleinen Lefastein in abgekürzter Form: Matronis Vacallinhis Flaccinia Lefa ex ius ips LM (Ex iussu ipsarum libens merito = auf Geheiß der Göttinnen das Gelübde erfüllt).
Das Aussprechen eines Gelübdes und die Aufstellung eines Weihesteins können mit einer Opferzeremonie verbunden gewesen sein. Von solchen feierlichen Handlungen berichten auf den Weihedenkmälern Priesterinnen, Opferdiener, Opfertische, Gefäße für Trankopfer und Opfergaben in Schalen und Körben. Der Votivstein des Pettronius Patroclus von Nettersheim demonstriert auf der linken Nebenseite eine Opferhandlung. Auf einem dreibeinigen Opfertisch liegt auf einer Fußschale ein Schweinskopf zwischen zwei einhenkligen Kannen; die Szene wird von einer Girlande mit einem Vogel gekrönt.
Mehrere Matronensteine aus Bonn zeigen auf den Nebenseiten Tempeldienerinnen und Tempeldiener vor Baumheiligtümern. Auf den Schmalseiten des Bonner Vettiussteins tragen Opferdienerinnen eine Schale mit Äpfeln und Birnen. Auf einem Prozessionsrelief einer fragmentierten Matronenweihung mit Kultbild (Bonn) nähern sich ubisch gekleidete Frauen in einer Prozession dem Kultbild. Sie halten Schalen mit Obst in den Händen.
Einige Darstellungen geben Hinweise auf Tieropfer. Auf der Nebenseite des Weihesteins des V. Martinius Primus für die Matronae Veteranehae aus Embken (bei Düren) hält ein Opferdiener ein Schwein an den Hinterläufen hoch. Auch ein Matronenstein aus Antweiler zeigt ein Schwein. Auf den Nebenseiten ist zum einen ein Knabe, der ein Schwein auf dem Rücken trägt, zum anderen eine Opferszene mit Feuer, Kessel und Opferdiener plastisch nachgebildet. Auf einem Pescher Relief (Bruchstück) wird ein Schwein von einem Diener zum Altar herangeführt. Ebenfalls aus Pesch stammt ein Altarbruchstück, auf dem oben zwei Teller mit größeren Früchten oder Broten stehen. „Dazwischen ein Tierköpfchen mit kurzen spitzen Ohren, wahrscheinlich ein Schweinskopf.“ Von Menschenopfern, die Cäsar den „Barbaren“ zuschrieb, gibt es auf den Matronensteinen keine Anzeichen.
In der Regel tragen die Göttinnen auf dem Schoß Schalen oder Körbchen, die – soweit erkennbar – mit Obst als Opfergaben gefüllt sind. Der beschädigte Lucretius-Stein aus Nettersheim zeigt Abweichungen. Hier haben die beiden Matronen Kästchen (Weihrauchgefäße, Schmuckkästchen?) in den Händen, während die mittlere Göttin in der rechten Hand eine große Blume und in der linken ein Körbchen(?) hält. Bei einem Matronenstein von Eschweiler-Fronhoven trägt die mittlere Göttin in der rechten Hand einen Zweig, in der linken Hand ein Kästchen. Eine Matrone umfasst mit der Hand eine Ähre.
Opfergaben sind auch diejenigen Obstfrüchte, die oben auf den Altären in Stein gemeißelt sind. Bei einem Altar von Pesch und zwei Bildnissen von Nettersheim sind es Birnen. Auf einem Matronenstein aus Satzvey ist oben ein Apfel abgebildet, auf einem Lessenicher Stein sind sowohl ein Apfel als auch eine Birne zu erkennen. Auf einem Inschriftenaltar aus Nettersheim steht ein Teller mit sechs Früchten. In Pesch trägt ein solcher Opferteller nur eine einzige Frucht, ein anderer ein Brot.
Reichen Erntesegen und paradiesische Zustände zeigen die Füllhörner, die auf Schmalseiten von Matronensteinen abgebildet sind. Bei dem Nettersheimer Patroclus-Stein sind sehr deutlich zwei Äpfel (Granatäpfel), zwei Birnen und ein Pinienzapfen in der Öffnung eines Füllhorns zu unterscheiden. Der untere Teil ist mit einem Kranich geschmückt. Ähren hängen an der Seite des Füllhorns herunter (auf einer ähnlichen Abbildung auf einem Matronenstein aus Müddersheim sind die Ähren deutlicher zu erkennen.)
Aus der Öffnung eines großen Füllhorns, das zu den lebensgroßen Freiskulpturen von Pesch gehört, quellen ein großer Pinienzapfen und acht kleine Früchte. Ein Pinienzapfen, fünf Birnen und drei Nüsse liegen in einem geschweiften Becher, der aus einem Akunthuskelch herausragt, eingemeißelt auf einem Matronenstein aus Nettersheim. Viele Schmalseiten der Matronenaltäre zeigen Bäume, Zweige oder Blätter.