Sagen aus den Eifeler Wäldern


Sagen aus den Eifeler Wäldern
Sophie Lange
In: Jahrbuch Kreis Euskirchen 2008

Reh im Hornbachtal, Foto: Martina Schäfer
Reh im Hornbachtal, Foto: Martina Schäfer


Die Eifeler Wälder laden zu erholsamen Wanderungen ein. Doch sobald die Abenddämmerung hereingebrochen ist, sollte man den Forst möglichst meiden, denn im Dunkel der Nacht irren dort Geister und unerlöste Seelen umher. Wer aber nicht an Gespenster glaubt, kann sich gerne in der Finsternis ins dichte Gehölz wagen. Schon bald wird er eine einsame, unheimliche Gestalt erblicken und wunderliches Hundegebell vernehmen - japp, japp. Da packt auch den mutigsten Nachtschwärmer das kalte Grauen, und er wünscht sich nur eines: Weg von hier! Doch es kann geschehen, dass er niemals mehr aus dem Dickicht herausfindet, und dann muss er herumirren, ruhelos, gehetzt, bis in alle Ewigkeit – genau so wie der ewige Jäger, von dem die Sage zu berichten weiß.

Im Weyerer Wald
Der Weyerer Wald zwischen Keldenich, Urfey und Weyer ist das Jagdgebiet eines gespenstischen Jägers. Wie der Weidmann dort vor langer Zeit hingeraten ist, erzählt folgende Sage: „In der Keldenicher Flur gibt es eine Stelle, die heißt „Auf dem Königsfeld“. Vor langer Zeit soll hier eine Burg gestanden haben, vielleicht war es ein Königshof, eine sogenannte Pfalz. Auf dieser hehren Feste lebte einst eine fromme Burgfrau, deren einziger Sohn ihr allerdings in keiner Weise nacheiferte; im Gegenteil, er kümmerte sich weder um Gott noch sein Gebot. Sein Herz war ausschließlich erfüllt vom Weidwerk in Gottes freier Natur. Wenn die Mutter wie alle tugendreinen Keldenicher sonntags die heilige Messe besuchte, lachte er nur spöttisch. Besessen von seiner Jagdleidenschaft ging er lieber auf die Pirsch als in die Kirche. Eines Sonntags, als es in Keldenich gerade zum Hochamt läutete, nahm der Nimrod wieder das Gewehr von der Wand. Da wurde seine Mutter sehr traurig und klagte: „Ach, mein Sohn! Sonntag für Sonntag versündigst du dich, da du die heilige Messe versäumst.“ Als der Sohn nur wieder hämisch lachte, wurde sie ärgerlich und rief zornig: „Dann geh doch auf die Jagd, du missratener Nichtsnutz! Ich wünsche, dass du jagen mögest für immer und ewig.“ Nun hatten damals Wünsche und Flüche große Macht. Darum musste man sich dreimal überlegen, was man sich wünschte und wen man verfluchte. Und obwohl der Mutter ihre Worte sofort Leid taten, ging die Drohung in Erfüllung. Der Sohn kehrte am Abend nicht in die Burg zurück, und auch nicht am nächsten Tag und nicht am übernächsten und niemals mehr.“1
Die Burg auf dem Königsfeld ist längst untergegangen; keine Menschenseele weiß wann und wodurch. Doch der ewige Jäger geistert noch immer durch das Weyerer Waldgebiet. An den schroffen Felsen „boven zur Ley“, am Donnermaar, an den steinalten Hügelgräbern, im Urfeyer Paradies und im Keldenicher Königsfeldertal hat man ihn schon gesehen.
Eine andere Erzählart der Sage vom ewigen Jägers im Weyerer Wald zieht eine Verbindung zu der Juffer Fey, die Nachfolgerin der Matronengöttinnen, die einst unser Land beschützten. Die Juffer Fey hat ihr Reich am Feybach und beschützt Mensch und Tier, Wälder und Felder, Dörfer und Weiler. Sie ist eine gute Fee, kann aber sehr unangenehm werden, wenn die Sonntagsruhe im Wald gestört wird.
Die Sage erzählt: „Als der Jäger an einem Weihnachtstag wieder jagte, erlegte er schon bald einen außergewöhnlich großen Hasen, den er in die Jagdtasche steckte. Danach trat das Wild massenhaft auf, aber es neckte ihn nur. So wollte es ihm nicht mehr gelingen, auch nur ein einziges Stück zu erschießen. Erschöpft setzte er sich schließlich auf einen Felsblock und legte seine Jagdgeräte zur Seite. Da plötzlich, als es gerade auf dem nahen Kirchturm zu Weyer zur heiligen Wandlung läutete, erblickte er eine alte, gebeugte Frau, die ihre Augen starr auf ihn richtete. Das war aber niemand anders als die Juffer Fey. Sie umkreiste dreimal die Weidtasche, schlug mit einer Haselrute darauf und sprach: Wach auf! Wach auf! Lieb’ Schwester Marie!
Jetzt gilt’s zu enteilen, jetzt oder nie! Und flugs sprang das erlegte Tier quietschlebendig aus der Tasche und verschwand im nahen Buschwerk. Der Jäger griff erzürnt nach seiner Waffe, eilte dem entsprungenen Hasen hinterher und rief drohend: „Ich will dich wieder haben und sollte ich dich jagen bis zum Jüngsten Tage!“ Noch immer hat der Jäger den Hasen nicht erwischt und durchstreift bis heute ruhelos die Wälder.“2

Im Holzheimer Wald
Um die Bekehrung eines reuigen „Sonntagsjäger“ geht es in einer Sage aus Holzheim. Hier erscheint die gute Fey in Gestalt eines Hasen: „Es war an einem Weihnachtstag, und die Dorfbewohner von Holzheim machten sich gerade auf, um dem feierlichen Hochamt in der Kirche beizuwohnen. Nur ein Jägersmann hatte anderes vor: Er machte sich auf, um im Wald zwischen Harzheim und Holzheim zu jagen. Als er so durch den Wald streifte, entdeckte er plötzlich in der Nähe einen Hasen. Flugs ergriff er seine Büchse. Der Hase blieb still sitzen und blickte dem Weidmann fest in die Augen. Zweimal schoss der Jäger auf ihn, doch es war wie verhext: Er traf ihn nicht. Ärgerlich legte er gerade die Flinte zum dritten Mal an, als er hinter sich eine Stimme hörte, die eindringlich warnte: „Nicht schießen, nicht schießen!“ Verdutzt blickte sich der Jägersmann um, erblickte aber niemanden. Da wurde ihm gar gruselig zu Mute, und die Jagdlust war ihm für diesen Tag vergangen. Eilig kehrte er nach Hause zurück. Als er an der Holzheimer Kirche vorbeikam, erklangen gerade die Altarglöckchen zur Wandlung. Sie trafen ihn mitten ins Herz. Demütig kniete er nieder und bat Gott um Vergebung seiner Sünden. Da hörte er eine leise Stimme, die ihm zuraunte: „Es war dein Tausendglück, dass du nicht mehr geschossen hast. Denn ansonsten hättest du jagen müssen auf ewig und drei Tage.“ Niemals mehr ist der Jäger sonntags auf die Jagd gegangen.“ 3

Am Rotbach
Auch am Lauf des Rotbachs spukt es. Zwischen Disternich und Müddersheim geistern sowohl Juffern als auch eine Jägergestalt, die hier der „grüne Jäger“ genannt wird, denn im grünen Gewand, bepackt mit Gewehr und Jagdsack, begleitet von einem kleinen Hund, durchstreift er die Gegend und strebt „im Zwange eines Bannes“ einem kleinen Wald zu. Seine Herkunft aus dem Reich der Geister verrät er durch erschreckend düsteres Gebaren. Anscheinend hat auch diese unerlöste Seele als Sonntagsjäger schwere Schuld auf sich geladen, die ihn jetzt den Himmel verschließt. Viele Menschen haben ihn gesehen und sind der grausigen Gestalt flugs aus dem Weg gegangen.4

Im Münstereifler Wald
Im Münstereifler Wald hat ein Fluch – in diesem Fall einer Ehefrau – einem Jäger den Eingang in die ewige Seligkeit verwehrt. Hier ist es ein Schuster, der anstatt bei seinen Leisten zu bleiben, lieber wildern ging. Das erlegte Wild verkaufte er und vertrank das Geld. Eines Tages erreichte ihm im Wirtshaus die Nachricht, dass seine Frau im Sterben lag: „Mit aschfahlem Antlitz und schreckstarrem Blick hastete der Schuster ans Bett seiner Frau. Zu spät! Im Fieberwahn redete die Frau schreckliche Dinge und rief plötzlich mit markerschütternder Stimme: „Mag er immerdar im Wald umherstreifen, der Müßiggänger, Trunkenbold und ewige Jäger!“ Es waren ihre letzten Worte und von der Stunde an irrt der ewige Jäger im Münstereifler Wald umher. Um die Mitternacht begegnet er mitunter heimwärts wankenden Zechbrüdern, die sich in Münstereifel bei Glas und Spiel verspätet haben. Doch nimmer vergessen sie den todtraurigen Blick, mit welchem er sie anschaut und dann mit seinem Dackel wie ein Schatten müde und kraftlos dahinschwankt.“5

Das wilde Heer
Am gefährlichsten ist es im Wald in der Zeit von Weihnachten bis Dreikönigstag, denn zwischen den Jahren braust der wilde Jäger mit seinem Heer durch die Lüfte. Einst regierte er als Donar die Götterwelt, später eroberte er mit zahllosen großen Helden das Firmament. Er erlöste manche verbannte Seele und nahm sie in sein Geisterheer auf. Der Sagengeist „ewiger Jäger“ gehört aber nicht zum Heer der wilden Jagd. Anscheinend ist er zwar in die „ewigen Jagdgründe“, aber nicht in die himmlischen Jagdgründe eingegangen. So irrt der Verbannte noch immer wie ein gehetztes Wild durch die Nacht. Und wer es nicht glaubt, kann sich in dunklen Nächten in einem noch dunkleren Eifelwald davon überzeugen.


Quellenangaben:

1. Gottfried Henßen: Sagen, Märchen und Schwänke des Jülicher Landes, Bonn, 1955 Seite 61, Nr. 59
2. H. Roggendorf: Mechernich. Alte Geschichten. 1929, Seite 123
3. Henßen, Seite 63, Nr. 61, 62 und 63
4. Hugo Schmole: Spuk im Euskirchener Lande um die Mitte des vorigen Jahrhunderts.
In: Unsere Heimat, 19. Oktober 1932 5. Gustav Laue: Vom ewigen Jäger. In: Münstereifeler Zeitung vom 15. Februar 1927