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Schnurri

Geschichten von Kindern und Kätzchen
von Angelika Harten, 1921

Schon lange hielt ich nach dem Büchlein „Schnurri“ Ausschau. Erst 2015 konnte ich es antiquarisch kaufen.
Die Geschichte erzählt von einer Großmutter, die ihre Enkel besucht, da deren Mutter vor der Geburt eines weiteren Kindes steht. Wie mir Nachkommen von Angelika Harten mitteilten, ist es eine authentische Geschichte. Die Großmutter ist die Dichterin selbst, die Tochter ihre leibliche Tochter Maria, verheiratet mit dem Amtsrichter Giesen, und die Enkel ihre eigenen Enkel, die auch deren Namen tragen: Seppl, Marthefriedchen, Reini, Kurt und die neu geborene Otti. Der Ort ist namentlich nicht genannt, es soll sich jedoch um Blankenheim handeln. Genannt wird von dort das Amtsgericht, die Burgruine und das Klösterchen.
Das Buch ist bebildert mit wunderschönen Scherenschnitten von Marianne Köhler.
Es scheint sich um eine Verwandte zu handeln, da Angelika Harten= Maria Schmitz eine geborene Köhler war.
Hier ist nun das erste Kapitel aus dem Buch:

Schnurris Ankunft

Großmutter war zu Besuch gekommen. Wie froh waren die Kinder! Großmutter brachte ja immer allerhand schöne Dinge zum Spielen und Schnabulieren mit. Und sie konnte erzählen! Darum waren die Kinder auch immer den ganzen Tag um die Großmutter herum.

Nun war es schon dunkel und bald Zeit zu Bett zu gehen, Großmutter hatte soeben das Märchen vom Mäuslein Knageleintze erzählt, das die Kinder so gerne hörten. Und als sie gerade sagte: „Und wie das ungehorsame Mäuschen nicht zu Hause bleiben wollte und fortlief, kam die große Mietzekatze und biss es mausetot...“ da hörten die Kinder auf einmal draußen im Garten ein ganz leises Klagen.
Sie sprangen auf: „Großmutter, hörst du nicht?“

Der kleine Kurt, der auf Großmutter Schoß saß, verbarg sein Gesichtchen an ihrer Schulter und sagte. „Bang, bang!“

Das gute Brüderchen Reini aber tröstete ihn: „Nicht bang sein, Kürtchen! Da weint bloß die Otti-Maus.“

„Wie dumm!“ rief der große Bruder Seppl, der schon zehn Jahre alt war und bereits beim Herrn Pastor Latein lernte, „das kleine Schwesterchen schläft doch oben in seiner Wiege!“

„Es ist doch noch ganz klitzeklein und gestern erst getauft worden und kann auch noch gar nicht laufen“, sagte das Marthefriedchen.

„Hat auch teine Beine (Strampelhose) und teine Schühchen an.“

Und nun musste Kurt selbst lachen, wenn er bedachte, dass das winzige Kindchen in dem weißen Wickelkissen draußen herumlaufen und weinen sollte.

Da kam das Klagen und Jammern von neuem. Diesmal ganz nahe: „Miau! Miau!


„Ein Kätzchen! Ein Kätzchen!“ schrien alle Kinder und stürmten hinaus, der Großmutter voran. Nur Kürtchen blieb vorsichtig an ihrer Hand.

Und Reini kam noch einmal zurück. Er wollte doch lieber seinen hölzernen Säbel aus dem Spielschränkchen holen. Man konnte ja nicht wissen, was noch alles geschehen würde.

Draußen lag der Schnee auf allen Wegen, es war ganz hell vom Mondlicht. Da saß ein fremdes Kätzchen mitten auf dem Rasen unter dem großen Apfelbaum und miaute immer kläglicher, wie es die Kinder herzulaufen sah.

Es war ein sehr niedliches Kätzchen. Sein Pelzkleidchen war schneeweiß mit einem schwarzen Krägelchen, und die weißen Beine steckten in vier kohlschwarzen Stiefelchen. Das lange und dicke Schwänzchen war weiß und schwarz geringelt und lag wie eine kleine Schlange hinter ihm im Schnee.

Behutsam hob die Großmutter das Kätzchen auf.

Da sahen die Kinder, dass sein rechtes Beinchen ganz rot war, gerade über dem schwarzen Stiefelchen.

„Armes Tierchen!“ sagte die Großmutter. „Du blutest ja! Gewiss bist du an dem hässlichen Stacheldraht über der Gartenmauer hängen geblieben?“

„Miau! Miau!“ machte das Kätzchen wieder. Und es war seltsam: Die Großmutter und alle Kinder verstanden, was es sagte: „Beinchen tut weh, aber Köpfchen noch viel mehr. Böse Buben haben es mit spitzen Steinen beworfen.“

„Wir wollen das Beinchen verbinden und das arme Köpfchen kühlen“, sagte die Großmutter und ging mit Kätzchen und Kindern ins Spielzimmer zurück.

Marthefriedchen hatte inzwischen in der Küche eine Schale Milch geholt und sie dem Kätzchen gereicht.

„Trink, Mimmchen!“

Die Kinder brauchten es nicht zweimal zu sagen. Lapp...lapp...lapp! machte das rote Katzenzünglein ohne Aufhören, bis das ganze Schüsselchen leer war.

Die Kinder freuten sich, dass es dem Kätzchen so gut schmeckte und hielten sich ganz stille, um es bei der Mahlzeit nicht zu stören.

Nur Reini fragte, als das Tierchen beinahe mit Schmausen fertig war: „War's lecker, Kätzchen? Aber wie heißt du denn?“

Da machte das Kätzchen einen Buckel, sah die Kinder dankbar an und strich mit hoch erhobenem Schwanze um die Füße der Großmutter, indem es in einem fort behaglich schnurrte.

„Aha!“ sagte Seppl. „ich hör's schon. Du heißt Schnurri. Willst du bei uns bleiben, Schnurri?“

„Mit tausend Freuden will ich das“, schnurrte das Kätzchen und wäre gerne dem großen Seppl auf die Schulter gesprungen. Aber das Beinchen tat ihm doch zu weh.

„Au! Miau! Das Springen geht noch nicht.“

„Schnurri kann in der Puppenwiege neben meinem Bettchen schlafen“, schlug Marthefriedchen vor.

Aber die Großmutter schüttelte den Kopf und fragte: „Wo soll denn deine Puppe Rosa bleiben und die Zwillinge, die doch an ihrem Fußende schlafen?“

Da dachte das Marthefriedchen, dass es doch nicht hart gegen die alten Freundinnen sein dürfe um des neuen Spielgefährten willen und sagte nichts mehr.

Und Reini und Kürtchen wollten auch das Kätzchen lieber nicht im Schlafzimmer haben und waren froh, als Großmutter entschied, dass Schnurri ihr Lager im Spielzimmer bekommen sollte. Für ein Körbchen mit weichen warmen Deckchen wolle sie schon sorgen, wenn die Kinder erst zu Bett wären. Und morgen sollte Schnurri erzählen, woher sie gekommen war.

Da kam Lena, die Köchin, und brachte die Abendsuppe und Butterbrote für die Kinder.

Während sie aßen, badete die Großmutter sorgsam das verletzte Beinchen des Kätzchens und umwickelte es mit einem Verband aus feinem Leinen. Kaum war sie damit fertig geworden, als Schnurri mit einem großen Satz von ihrem Schoße sprang und das verbundene Pfötchen heftig hin- und herschlenkerte, bis der Verband abfiel.

„Kann ich nicht aushalten, Großmutter“, klagte sie. „Wird von selber gut.“

Und Schnurri setzte sich an den Ofen, leckte die wunde Stelle mit der Spitze ihres Züngleins und schnurrte leise dabei:

„Heile, heile Segen;
Morgen gibt es Regen,
Fällt ins große Regenfaß,
Macht auch's kranke Beinchen nass.
Macht das Beinchen wieder heil:
Schnurri hat dann gute Weil.“