Aussegnung

Michael, frisch mit Jordanwasser getauft (1963)

Die Aussegnung und das Jordanwasser Erinnerung an Pfarrer Froitzheim
von Sophie Lange

Als ich als junge Frau 1962 nach Marmagen kam, lernte ich Pfarrer Froitzheim kennen. Ich weiß nicht mehr, was ich mir unter einem „Eifelpastor“ vorgestellt hatte, bestimmt aber nicht einen modernen, gerne quer denkenden Priester. Beeindruckend waren seine Predigten. Ich verglich ihn gerne mit dem damals bekannten Jesuitenpater und Wanderprediger Pater Leppich, denn Pfarrer Froitzheim nahm kein Blatt vor dem Munde und sagte frei und offen seine Meinung. Er konnte so losdonnern, dass man das Ende der Welt befürchtete. Oftmals las er den Männern energisch die Leviten, wogegen er den Frauen mit aufmunternden Worten den Rücken stärkte. So habe ich es zumindest empfunden.

Persönlich kennen lernte ich Pfarrer Froitzheim ein Jahr später bei der Taufe unseres Erstgeborenen. Als ich mit dem Kleinen aus dem Krankenhaus kam, wurde ich von den Dorffrauen eingehend aufgeklärt. Zunächst ging es um praktische Dinge, etwa um das feste Einwickeln des Babys von Kopf bis Fuß. Das stärke den Rücken, sagten die Frauen, und weil man das in Marmagen schon immer so gemacht habe, seien die Marmagener alle so „staatse Kerle“. Das konnte ich als Zugezogene nun nicht so genau beurteilen und blieb daher skeptisch.

Doch es ging bei der Aufklärung auch um kirchliche Bräuche und Gesetze. „Sie dürfen „et Jehööch“ (Anwesen) nicht verlassen und die „Kullang“ (Gosse) nicht überschreiten“ wurde mir gesagt, denn nach der Geburt sei die Frau „unrein“ und erst, wenn sie ausgesegnet sei, dürfe sie wieder unter die Menschheit. Ich dachte zuerst, das wäre wieder so ein Marmagener Gesetz, doch die Frauen versicherten mir, das stände bereits im Alten Testament (Buch Levitikus). (Die Sache mit der Aussegnung, nicht mit dem „Jehööch“ und der „Kulang“). Ob ich das denn nicht wüsste, ich sei doch katholisch. Ja, ich war sogar streng katholisch erzogen worden, hatte eine Klosterschule besucht und war bei den „Nönnchen“ längere Zeit im Internat gewesen. Aber diese hatten so heikle Themen wie Schwangerschaft und Geburt, rein oder unrein, nie angesprochen. Woher sollten sie auch darüber Bescheid wissen?

Meine Sorge, wie ich nun einkaufen sollte, wurde schnell behoben. Besorgungen, die außerhalb des „Jehööchs“ anfielen, wurden von den Nachbarinnen erledigt. Die Frauen erzählten mir, dass ihre Mütter und Großmütter als Wöchnerinnen den „Hausarrest“ der unreinen Zeit, die streng genommen bei einem Mädchen 66 Tage und bei einem Jungen 33 Tage währte, immer genossen hätten, denn so mussten sie keine Feldarbeit verrichten und konnten sich von der Geburt und dem „Wochenbett“ erholen.

In meinem Fall sollte die Aussegnung mit der Taufe gekoppelt werden und sollte direkt vor dem Festakt stattfinden. „Aber nicht die Kirche betreten, bis der Pastor sie reinholt!“ wiesen die Frauen mich streng an. Klar, ich war ja „unrein“ und würde die ganze Kirche verunreinigen.

So blieb ich denn brav unten im Kircheneingang stehen, während die Taufgesellschaft die Kirche betrat. Da stand ich nun wie ein armes Sünderlein, dem das Himmelreich verwehrt ist. Und dann kam Pfarrer Froitzheim. „Was stehen Sie denn hier?“ fragte er unwirsch. „Kommen Sie schon rein.“ Er nahm meine Hand und zog mich energisch in die Kirche – alle alten Bräuche missachtend. An einem Seitenaltar, dem Marienaltar, nahm er die Aussegnung vor, sprach schnell ein paar Gebete, machte ein Kreuzzeichen und bespritzte mich mit Weihwasser. Man merkte ihm deutlich an, dass er nicht viel von dieser Reinigungszeremonie hielt, die er nicht „Aussegnung“, sondern „Einsegnung“ nannte.

Die mit viel Aberglauben behaftete Aussegnung wurde kurz darauf offiziell aufgehoben und ab 1969 als Dankritus durch den „Muttersegen“ am Schluss der Tauffeier umgewandelt. Pfarrer Froitzheim beendete aber schon vorher den alten Kirchenbrauch. So gehöre ich wohl zu den letzten in Marmagen, die in den “Genuss“ einer Aussegnung kamen.

Vor der Taufe gab es noch ein anderes Problem. Eine Verwandte – eine Ordensschwester – wollte nach Israel reisen und von dort gesegnetes Jordanwasser mitbringen, damit unser Sohn damit getauft würde. So mussten wir die Taufe, die damals noch kurz nach der Geburt vollzogen wurde, etwas verschieben, bis auf einigen Umwegen das heilige Wasser in Marmagen angekommen war. Als wir Pfarrer Froitzheim unseren Wunsch vortrugen, dieses Jordanwasser für die Taufe zu benutzen, war er nicht gerade begeistert. Für ihn war wahrscheinlich das Wasser aus dem nahen Schleifbach genau so heilig wie das Wasser aus dem Jordan. Womit er natürlich Recht hatte, denn vom Ursprung her ist jedes Wasser heilig. Mir war das Ganze peinlich, aber was tut man nicht alles um des lieben Friedens willen in der Verwandtschaft. Schließlich erklärte Pfarrer Froitzheim sich bereit, das Jordanwasser zu nehmen. Des Menschen Willen ist sein Himmelreich.

Wenn ich später mit dem Kinderwagen im Dorf unterwegs war und uns Pfarrer Froitzheim begegnete, begrüßte er uns jedes Mal enthusiastisch: „Ooooh, der mit Jordanwasser Getaufte!“ Und dann lachte er herzhaft – mit 'nem Schuss Ironie!

Die kirchentreuen Marmagener waren sich sicher, das ein „mit Jordanwasser Getaufter“, Pastor oder zumindest ein Pastörchen, ein Eifelpastörchen werden würde. Was sollte das Wasser aus dem heiligen Land sonst bewirken?

Natürlich hatte auch die fromme Verwandtschaft beim Jordanwasser einen Hintergedanken mit der Priesterschaft. Warum hätte man sich sonst die ganze Mühe gemacht? Selbst der Kleine bekam die Diskussion um das Priesterwerden mit. Er war vielleicht fünf Jahre alt als ihn ein Nachbar fragte: „Was willst du denn mal werden?“ Er antwortete mit großem Selbstbewusstsein: „Papst!“ Wenn schon, denn schon!

Er ist übrigens weder Pastor noch Pastörchen geworden und folglich konnte er auch nicht Papst werden. Pfarrer Froitzheim hätte also mit gutem Gewissen auch Wasser aus dem Schleifbach als Taufwasser nehmen können.



(Für Hilfe bei den Erinnerungen bedanke ich mich bei Herrn Rudi Schmidt+ und Frau Katharina Schmitz)