Besuche im "Weiberdorf" Eisenschmitt
Von Sophie Lange
In: Christel Aretz/Peter Kämmereit (Hsg):
Clara Viebig. Ein langes Leben für die Literatur, 2010
Mein erster Besuch in Eisenschmitt liegt lange Zeit zurück. Es muss so Mitte der 80er Jahre gewesen sein. Meine Verehrung für die Eifeldichterin Clara Viebig hatte in mir den Wunsch geweckt, ihr berühmt-berüchtigtes „Weiberdorf“ Eisenschmitt kennen zu lernen. Da ich in der Nordeifel wohne, war Eisenschmitt für mich nur ein Dorf irgendwo im Süden der Eifel und mir nur durch Viebigs Roman bekannt. Zum Glück habe ich eine gute Freundin, die in der dortigen Gegend zu Hause ist und sich bestens auskennt. So fuhr ich mit ihr nach Eisenschmitt an der romantischen Salm.
Es war ein glutheißer Sommertag, als ich betrachtend und sinnend über die Hauptstraße von Eisenschmitt schlenderte, Viebigs berühmtestes Buch in der Hand. Ich stellte mir vor, wie „unsere“ Clara vor 1900 hier flaniert war, eine feine Stadtdame in vornehmer Kleidung mit sorgfältig onduliertem, hoch gestecktem Haar. Ein luftiger Sonnenschirm schützte vor den grellen Strahlen der Sonne. Bleich und blass galt damals als vornehm. Neugierig betrachtete sie die massiven Häuser und beobachtete die Menschen.
So ähnlich machten wir es jetzt auch, nur waren die Merkmale einer wohlbetuchten Stadtdame von anno dazumal einer legeren Kleidung mit Caprihose und luftigem Top gewichen. Als ich eine ältere Frau an einer Haustür sah, grüßte ich freundlich und wollte eine Frage anschließen. Doch blitzschnell verschwand die gute Frau ins Haus.
Eine andere Frau, die die Straße kehrte, war nicht so schnell. Ich brauchte aber gar nichts zu fragen, denn sie schielte zu dem Buch in meiner Hand und wusste, was wir wollten: „Ihr sucht wohl das Weiberdorf?“ meinte sie nicht gerade freundlich. „Da sucht ihr vergebens. Was diese sogenannte Eifeldichterin geschrieben hat, ist alles erstunken und erlogen.“ Ich sah eine Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen, und warf ein, dass das „Weiberdorf“ ja ein Roman sei und kein Tatsachenbericht. „Das sahen und sehen aber viele anders“, meinte die Straßenkehrerin mit ihrer kehligen Aussprache, sichtlich bemüht, hochdeutsch zu sprechen. „Alles erstunken und erlogen“, wiederholte sie, blitzte mich mit feurigen Augen an und gab mir den wohl nicht wohlgemeinten Rat: „Arbeitet ihr mal den ganzen Tag dort oben in den steinigen Feldern in glühender Hitze, und dann sagt mir, ob ihr abends noch Lust auf einen Mann habt.“ Ich wischte mir automatisch mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Mir stieg schon hier unten im Tal – ohne Sonnenschirm - die Sonne in den Kopf, aber da oben auf den dampfenden Feldern? Nein, da mochte ich nicht sein. Und arbeiten erst recht nicht. Ihrer zynischen Empfehlung wollte ich bestimmt nicht Folge leisten. Unsere Gesprächspartnerin grinste uns an und schwang wieder ihren Hexenbesen. Sie fegte uns einfach zur Seite und wir flüchteten schnellstens zu unserem Auto. Clara Viebig hatte man einstens mit Mistgabeln aus dem Dorf vertrieben, wir wurden mit einem Besen weggescheucht.
Der Eisenschmittner Brunnen
Einen intensiven Besuch mit meiner Südeifel-Freundin stattete ich Eisenschmitt wieder 1990 ab, um den neuen Brunnen vor der Kirche zu besichtigen. Nachdem wir diesen mit den Darstellungen von einstiger Eisenverhüttung und von Clara Viebigs Roman „Das Weiberdorf“ erschöpfend studiert und bewundert hatten, betraten wir die nahe Gaststätte. Einige Männer lungerten an der Theke. Ein geschwätziges Pittchen – wie bei Clara Viebig - war leider nicht dabei. Als wir unseren Kaffee vor uns stehen hatten, wagte ich ein Gespräch in Richtung Theke, sagte, wie schön der Brunnen sei und fragte, wie er denn heiße (was ich natürlich wusste). Prompt kam die Antwort: „Eisenschmittner Brunnen.“ „Und warum heißt er nicht Clara Viebig-Brunnen?“ fragte ich schnell. Nun hatte ich– wohl zu schnell – die Katze aus dem Sack gelassen und die Männer wandten sich wieder ihrem Bier zu. Nur einer zischte über die Schulter zu mir rüber: „Wenn der so hieße, würde er bei Nacht und Nebel abgerissen!“ Lautes Gelächter. Das Reizthema „Clara Viebig“ war vom Tisch – vielmehr von der Theke.
Weiberdorf 2000
Doch die Zeiten änderten sich und damit auch die Menschen in Eisenschmitt. Das merkte ich Anfang des Jahres 2000. Mein Büchlein „Weiberdorf 2000“ war erschienen und der Südwestfunk wollte einen Film dazu drehen. Zunächst wurde in Nettersheim gefilmt, später in einer urigen Gaststätte auf der Wildenburg. Es wurde spät, bis wir uns endlich auf den Weg nach Bitburg machten. Dort war eine Übernachtung geplant und morgens sollten dann in Eisenschmitt die letzten Filmszenen in den Kasten kommen. Die Fahrt durch die Dunkelheit von der Wildenburg nach Bitburg war ein einziges Desaster. Es schneite, stürmte, verwehte, war glatt – halt Preußisch Sibirien. Wir waren mit drei Autos unterwegs: Wir Eifeler spielten im wintererprobten Eifelschlitten das Leittier, dann folgte die Journalistin in einem klapprigen Kleinwagen, abschließend sorgte das Kamerateam in einem Kleinlaster dafür, dass die junge Frau in den finsteren Tiefen der Eifel nicht verloren ging. Die Journalistin war morgens von Frankfurt in die Eifel gekommen und total vom Schneewetter überrascht worden. Sie hatte keine Winterreifen und ein Scheinwerferlicht war blind. Diese Fahrt wird sie nie vergessen haben. Aber immerhin schaffte sie es bis Bitburg. Sie war fix und fertig, stolperte zitternd auf ihren Stöckelschuhen durch den Schnee ins Hotel und wurde an diesem Abend nicht mehr gesehen. Die Männer des Kamerateams dagegen waren frisch und munter und machten sich einen gemütlichen Abend.
Ich übernachtete bei meiner Freundin, wo mich die Männer morgens abholten. Leider passierte an diesem Morgen ein kleines Missgeschick, denn ein Glas in meiner Brille löste sich. So fuhren wir zuerst zu einem Optiker. Die Männer nutzten die Gelegenheit, in dem Geschäft nach dem kürzesten Weg nach Eisenschmitt zu fragen und berichteten von ihrem Auftrag. Der Optiker war freudig überrascht und erzählte, dass er aus Eisenschmitt stamme. Natürlich konnte ich es wieder nicht lassen und fragte nach der Beziehung zwischen den Bewohnern des „Weiberdorfs“ und Clara Viebig. Er zögerte ein wenig, erklärte aber dann: „Na ja, früher war man nicht gerade glücklich, überall als „Weiberdorf“ verspottet zu werden. Jetzt ist das anders. Clara Viebig ist ein willkommener Touristenmagnet für den Erholungsort Eisenschmitt.“ Aha! Clara Viebig war in der heutigen Gesellschaft angekommen und trug zur Förderung des Fremdenverkehrs bei.
Dass das Verhältnis zu Viebig sich geändert hatte, spürten wir dann ganz vehement bei den Aufnahmen in Eisenschmitt. Überall wurden wir freundlich empfangen und alle waren zu einem Gespräch über den „Tatort Weiberdorf“ bereit. Auf einer Brücke sprach mich eine ältere Frau direkt an, outete sich als Viebig-Fan und erzählte, dass sie alle Bücher der Eifeldichterin gelesen habe. „Und die alten Geschichten?“ bohrte ich. „Ich stamme nicht von hier, bin erst vor Jahren hierhin gezogen“, meinte sie schmunzelnd und verschwand. Ich hatte mich zu früh gefreut, eine waschechte Eisenschmittnerin als fanatische Bewunderin von Clara Viebig zu erleben.
Wirklich zu Ehren kam dann Clara Viebig, als 2005 das „Haus des Gastes“ als „Clara Viebig Zentrum“ eingeweiht wurde – und bis heute nicht bei Nacht und Nebel abgerissen wurde. Auch regt sich niemand mehr auf, wenn jemand Clara-Viebig-Brunnen sagt oder schreibt.
Erstaunt war ich jedoch, als ich vor Wochen von Eisenschmitt in einer Zeitung las, dass Clara Viebig „die berühmteste Tochter des Ortes“ sei. Hat Eisenschmitt die Weiberdorf-Dichterin adoptiert?
Eisenschmitt ist heute stolz auf seine „Tochter“, das Kind der Eifel, das Aushängeschild der Gemeinde. Würde sie heute nach Eisenschmitt kommen, würde ihr zu Ehren ein großes Transparent aufgehängt: Herzlich willkommen! Clara würde sich freuen.