Der Burgschatz am Johannistor

Von Theodor Seidenfaden, 1926


Als der Seilspinner von Münstereifel neben seinem großen Rade, das er vor dem Johannistore nicht weit vom Judenfriedhofe aufgeschlagen hatte, ein Haus bauen wollte – das alte, mitten in der Stadt war zu klein und baufällig -, stieß er beim Graben auf eine Steinplatte. Weil er sie selbst nicht heben konnte, holte er Freunde aus der Stadt, denen es schließlich gelang, die Platte, die nur eine schmale Öffnung deckte, sonst aber auf festem Boden lag, fortzurücken.
In dem Loch, das nur einen Mann durchließ, begann eine Treppe, die auf glatten Steinstufen zur Tiefe führte, dort jedoch nichts erkennen ließ. Da schickte der Seilspinner nach einer Fackel, mit der denn auch Männer und Frauen der Stadt kamen, um den seltsamen Fund zu betrachten.
Als der erste der Männer – der Spinner, ein Angsthase, hielt sich zurück – mit dem Licht hinunter stieg, sah er plötzlich gewölbte Wände und kostbare Säulen, die einen Saal trugen. Davor hielt ein Ritter Wache. In seiner gepanzerten, hoch aufgereckten Hand leuchtete ein Schwert. Im Saale aber lag auf dunklem Paradebett unter silberner Seide eine Leiche mit goldener Krone. Ihr gegenüber stand ein Jäger, dessen rechter Unterarm einen Köcher mit Pfeilen trug, derweil die Hand durch einen Pfeil eben seines Bogens Sehne straffte.
Erschreckt ob solchen Anblickes blieb der Fackelträger stehen und flüsterte seinem Hintermanne zu, was er sehe. Der gab es leise und erregt weiter, und so kam die Kunde schließlich zu denen, die noch draußen standen. Die begehrten nun auch hinein und drückten sich durch das Loch auf die Treppe. So zwangen sie die Ersten tiefer hinunter, und als der Fackelträger die letzte Stufe betrat, schlug der Ritter zu und spaltete ihm das Haupt.
Entsetzt wollte der Zweite zurück, konnte aber nicht gegen seiner Gefährten Druck an; so betrat er die Stufe und lag gleich darauf mit gespaltenem Schädel neben der Leiche des Ersten, dem noch die schwelende Fackel in der Faust brannte. Gesträubten Haares sprangen der Dritte und der Vierte nun über die Stufe hinweg gleich in den Saal. Sie fanden, dass nur eine Seite der Stufe festlag, während die andere mit einem Drahte am Schwertarme des eisernen Ritters hing, der das Visier schwarz vor dem Gesichte trug. Wer auf die Stufe trat, riss durch seine Schwere den Arm des Ritters hoch und das Schwert aufs eigene Haupt. Da gingen sie vorsichtig hin und lösten den Draht, worauf denn jeder ohne Gefahr eintreten konnte.
Schließlich kam auch der Spinner und schaute sich um; er half die Leichen vom Eingange forttragen und freute sich heimlich des kostbaren Gutes, das seine Scholle barg. Im gleichen Augenblick schrak ihn ein wilder Schrei und er sah, wie den Schneider – der vorwitzig an der Leiche stand und die goldene Krone hob – des Jägers Pfeil ins Herz traf, so dass er tot neben dem Paradebett zu Boden sank.
Voll Angst stürzten der Spinner und mit ihm die meisten der Neugierigen die Treppe hinauf und dem Ausgange zu. Nur der Nachtwächter und der Totengräber blieben zurück und begannen aus gemessener Entfernung mit einer Stange die Krone zu heben. Wie darauf wieder ein Pfeil vom Bogen des Jägers schwirrte, hoben sie die Krone so oft, bis sein Köcher leer war.
Dann traten sie näher, lüfteten die Decke und fanden unter ihr zwischen goldenem und silbernem Tafelgeschirr Perlen, Edelsteine, Ringe und zierliche Kronen. Es war der alte Burgschatz, der nun im Fackelschein leuchtete, wie wenn er erst seit einer Stunde hier läge. Und doch hatte ihn dort – so berichtet die Sage – der Burgherr mit seinem Zauberer vor mehr als hundert Jahren an seines Vaters Leiche geborgen, bevor die Burg zerstört und er mit seinen Söhnen im Kampfe erschlagen wurde.
Sie nahmen die Schätze und teilten sie später unter die Armen; denn – so meinte der Nachtwächter – diese Dinge seien zum Leben geschaffen, nicht aber zur Ruhe bei Toten! Es schien ihnen gewagt, sie ganz für sich zu behalten, weshalb auch der Spinner fürchtete, an solchem Orte ein Haus zu bauen. Er verschüttete vielmehr den Eingang und wohnte weiter im Häuslein seiner Ahnen.
Die Stelle des unterirdischen Saales aber lässt heute noch eine Vertiefung erkennen, die rechts von dem Wege zu sehen ist, der das alte Johannistor mit dem Judenfriedhofe verbindet.


Theodor Seidenfaden: Der Burgschatz zu Münstereifel. In: Eifelkalender 1926
Sophie Lange: Im Dunkel der Nacht, 2001, Seite 36